Schmuckgeschichten

Die Welt des Novelty-Schmucks

Was gibt’s Neues?

von Lea Felicitas Döding

Schöne Kleinigkeiten

Antike Novelty-Schmuckstücke in Form alltäglicher Gegenstände, letztes Drittel des 19. Jahrhunderts.

Wer sich mit antikem Schmuck befasst, stolpert früher oder später über den Begriff „Novelty-Schmuck“. Doch was ist Novelty-Schmuck? Das Wort „Novelty“ kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie Novum, Neuheit. Im weitesten Sinne bezieht sich der Begriff auf unkonventionellen figürlichen Schmuck, der sich durch ein Element des Neuen, Überraschenden, Individuellen auszeichnet. Eine florale Brosche etwa gälte nicht als Novelty-Schmuck, da sie recht konventionell ist. Was können wir uns also darunter vorstellen?

Von den Anfängen des Novelty-Schmucks in den 1860er Jahren bis zum Abklingen seiner Popularität im frühen 20 Jahrhundert umfasste diese Gattung Entwürfe nach Gebrauchsobjekten im Miniaturformat. Nägel, Briefmarken, Spielkartenfarben und ähnliche Motive standen Pate für Nadeln und Broschen. Medaillons wurden in Form kleiner, sich öffnender Bücher oder Handtaschen entworfen, Haarnadeln und Broschen in Gestalt von Schwertern und Pfeilen.

Zwei hochwertige Beispiele für Noveltyschmuck, um 1890.

Ein früher Bericht über Novelty-Ohrringe, 1864 im deutschen Damenjournal Bazar erschienen, erwähnt, dass viele Damen nun „allerlei Hausgeräth, Handwerksutensilien, Freimaurer-Insignien en miniature als Schmuck an den Ohren [tragen], wobei jedoch zu bemerken ist, daß von diesen kleinen Laternen, Wageschalen, Winkelmaßen, klingenden Glöckchen u. dergl. nicht Aechtheit gefordert wird.“ 1

Tatsächlich waren viele dieser Schmuckstücke aus vergleichsweise günstigen Materialien gefertigt. Sie fassten etwa Korallen, Saatperlen oder sog. Halbedelsteine anstelle großer Diamanten oder Edelsteine: Sie galten zunächst eher als lustige, vorübergehende Modeerscheinung denn als Ausweis guten Geschmacks und wurden daher nicht zu repräsentativen Anlässen getragen. 

Zum Ende des Jahrhunderts änderte sich dies. Nun entstanden auch Stücke in kostbaren, hochwertigen Ausführungen für den Abend, vor allem Broschen in Form von Schwertern und Pfeilen.

Nachrichten von Gestern

Viele Novelty-Schmuckstücke bezogen sich subtil oder auch ganz offensichtlich auf aktuelle Begebenheiten. Sie waren das, was wir heute „Conversation Pieces“ nennen.

Eine britische Jubiläumsbrosche zur Feier der Krönung Georgs V., 1911.

Noch heute erzählen sie davon, was die Menschen einst bewegte. Nachdem Japan 1858 begonnen hatte, mit dem Westen zu handeln und 1867 sogar an der Weltausstellung teilnahm, rollte eine große Welle der Japanbegeisterung über ganz Europa. Im Schmuck drückte sich dies in Armreifen in Bambusoptik oder in Schmuckstücken aus, welche die traditionelle Shakudo-Technik imitierten.

Weitaus buchstäblichere Anspielungen auf das Zeitgeschehen waren Datums- oder Jubiläumsbroschen: So zum Beispiel eine bekrönte „1911“-Brosche, welche das Jahr der Krönung George V. in Gold und Perlen festhält.

Sport und Hobbies

Verschiedene diamantbesetzte Broschen mit Sportthema im Katalog der britischen Firma Streeter, um 1898.

Genau wie heute, so diente Schmuck auch im 19. und frühen 20. Jahrhundert dem Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und Interessen. Man konnte seine Liebe zur Musik mittels Broschen in Mandolinenform belegen oder auf seine sportlichen Interessen hinweisen. Hierzu wurden Manschetten­knöpfe in Form von Golfball und -schläger entworfen, es entstanden Broschen in Form von Reitgerten, Hufeisen, Rennpferden oder sogar Tennisschlägern.

Ebenfalls zum Bereich des Sports gehört der Jagdschmuck. Man verstand darunter nicht nur goldene Gewehre, sondern auch diamantbesetzte Jagdhunde, Hirsche, Enten, Fasane und Füchse, meist in Form einer Krawattennadel oder Brosche.

Entwürfe mit Bezug zum Sport richteten sich ab den 1890er Jahren zunehmend auch an Frauen, darunter etwa diamantbesetzte Fahrräder. Dies ist im Kontext der zunehmenden Emanzipation zu verstehen, denn das Fahrradfahren erlaubte es Frauen, ihre Zeit unbeaufsichtigt zu verbringen und zudem eine neue, eigenständige Freiheit der Fortbewegung zu erfahren.2

Fabelhafte Fauna

Verschiedene Schmuckstücke in Tierform, um 1880-1900.

Schmuck mit Tiermotiven zählte nicht nur im 19. Jahrhundert zu den beliebtesten Novelty-Stücken, sondern ist bis heute begehrt. Besonders Schmuckstücke, die nicht als Jagdschmuck gedacht waren, hatten oftmals eine komische Note. Armreifen, Ringe und Nadeln, mit winzigen Mäusen besetzt, wurden in den 1880er Jahren vor allem von der britischen Firma Thornhill’s popularisiert. Es folgten kleine Schweinchen-Anhänger, dann Affen, die auf Champagnerflaschen ritten oder andere witzige Kunststücke vollführten. 

Etwas glamouröser und zudem berühmter sind Broschen in Form von Eulenköpfen. Erste Beispiele begegnen bereits in den 1860er Jahren, doch berühmt machte sie vor allem der französische Goldschmied Paul Robin. Wir bilden eine aus Vulkanit (Kautschuk) gefertigte Version an, die für ein schmaleres Budget gefertigt und auch im Rahmen der Halbtrauergarderobe tragbar war.

Verschiedene Schmuckstücke aus tierischen Materialien, letztes Drittel des 19. Jahrhunderts.

Es gab jedoch auch Tierschmuck in einem ganz materiellen Sinne. Eine Modeerscheinung der 1860er und 1870er Jahre waren ausgestopfte Kolibri-Köpfe, die als Ohrringe, Broschen oder Halsketten gefasst wurden. Ihr schillerndes Gefieder machte den kostbarsten Edelsteinen Konkurrenz. Smaragdgrüne Käfer wurden, obwohl aus Brasilien importiert, in Schmuckstücken im ägyptischen Stil gefasst und als Cleopatra ornaments gehandelt. 

Einen aus heutiger Sicht obskuren Schmuck stellte das Operculum dar, die „Tür“ welche das Haus einer Meeresschnecke verschließt. Opercula wurden als Rivière-Armbänder oder -ketten gefasst und befriedigten so – wenn auch nur für einen Moment – den stetigen Hunger auf Neues und Ungewöhnliches.

Das große Krabbeln

Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts herrschte in Europa eine Mode für Insektenschmuck. Es mag wenig überraschend sein, dass der Schmetterling das beliebteste Motiv darstellte: Seine farbenfrohen Flügel eignen sich ideal dazu, von bunten Edelsteinen nachgebildet zu werden, und juwelenbesetzte Schmetterlingen zählen oftmals zu den teuersten Beispielen antiken Insektenschmucks. 

Bienenbrosche mit Rubinen, Saphiren und Diamanten, um 1885.

Während viele Novelty-Schmuckstücke dem eher konservativen Publikum uninteressant oder sogar geschmacklos erschienen, war der Schmetterling weithin akzeptiert. Ein 1888 im Bazar erschienener Artikel empfahl den juwelenbesetzten Schmetterling sogar als Haar-Ornament für ein Gala-Dinner.3 Auch als Korsagenornament wurden Schmetterlinge getragen, mittig vor das Ballkleid geheftet.

Fliegen, Bienen, Wespen, Käfer und – obwohl nicht wirklich Insekten – auch Spinnen wurden aus edlen Materialien gefertigt. Für den Tagesschmuck wurden diese Motive oftmals auf Stabbroschen montiert, in Silber oder Gelbgold ausgeführt und mit farbigen oder sog. „Halbedelsteinen“ besetzt. Der oben zitierte Artikel aus dem Jahr 1888 empfahl „Kleine Nädelchen, welche Käfer, Fliegen, Schmetterlinge, gefaßt mit Türkisenperlchen darstellen“ als Accessoire zu einer Einladung zum Nachmittagstee.4 

Herren trugen Krawattennadeln in Form von Käfern oder Fliegen. Einige davon, naturalistisch aus braunem Achat geschnitzt, konnten sogar als optische Illusion und lustiger Gesprächsaufhänger dienen.

Verschiedene Insektenbroschen und -nadeln des späten 19. Jh.

Versteckte Botschaften

Die viktorianische Faszination für versteckte Botschaften fand im Schmuck einen besonders raffinierten Ausdruck. Goldene Broschen in Pfeilform spielten auf die Waffen Amors an, denn es war der goldene Pfeil des Liebesgottes, welcher der Sage nach den Getroffenen in leidenschaftlicher Liebe entbrennen ließ. Entsprechende Accessoires waren gesellschaftsfähig und doch zugleich kokett, vor allem wenn sie als Korsagenornament über dem Herzen getragen wurden.

Die französische Brosche gibt ein kleines Rätsel auf: Aufgelöst als à, La, Do und Re liest es sich „à l'adorée“, der Angebeteten.

Wortspiele und Bilderrätsel verliehen dem Schmuck eine zusätzliche Komplexität. Der beliebte Typus der „Honeymoon“-Brosche etwa zeigt einen Halbmond, auf dem sich eine Fliege niederlässt, denn Fliegen werden vom Honig angezogen. Eine Variation zeigt den Halbmond mit Blumen, aus deren Nektar der Honig entstehen wird. Ein leichter zu lesendes Beispiel sind jene silbernen und goldenen Schlüssel, von denen Herzen pendeln; die „Schlüssel zu meinem Herzen“.

Erst auf den zweiten Blick offenbaren sich die Bedeutungen anderer Stücke, etwa von Broschen, die durch Notenschrift kleine Botschaften überbringen: beispielsweise à l’adorée (an die Angebetete – à, La, Do, Re) oder Dearest (Liebste – d, e, a, rest).

Le Temps Trouvé: Batteriebetriebener Schmuck

Eine weitere Art des Novelty-Schmucks – heute äußerst selten und gesucht – feierte die Fortschritte der Technik, insbesondere der Elektrizität. Das wohl berühmteste dieser Schmuckstücke ist die Krawattennadel in Form eines Totenkopfes, die erstmals auf der Pariser Ausstellung von 1867 ausgestellt wurde: Betrieben von einer versteckten Batterie konnte sie mit den Augen rollen und mit dem Kiefer klappern.5

Batteriebetriebene Schmuckstücke des Erfinders Gustave Trouvé, umgesetzt von Auguste-Germain Cadet-Picard. Die Illustration erschien im französischen Journal La Nature am 13. September 1879.

Diese technische Meisterleistung wurde von Gustav Trouvé erdacht, dessen Erfindung einer Taschenbatterie ihn dazu veranlasste, mehrere animierte Krawattennadeln zu entwerfen. Umgesetzt wurden diese von Auguste-Germain Cadet-Picard. In den 1880er Jahren bot Trouvé dann eine Reihe von elektrisch beleuchteten Schmuckstücken für die Bühne an. Eine Broschüre mit dem Titel L’électricité au théatre listet Diademe, leuchtende Spazierstöcke, Broschen und Haarnadeln auf, die von Miniatur-Glühbirnen beleuchtet wurden; die Taschenbatterie war separat zu erwerben.6 Es ist jedoch vor allem der batteriebetriebene Schmuck für den persönlichen Gebrauch, für den Trouvé heute in Erinnerung geblieben ist.

Elektrisch beleuchteter Schmuck von Gustave Trouvé für die Bühne, um 1885. Quelle: gallica.bnf.fr/BnF.

Es versteht sich von selbst, dass diese Stücke nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch scharfe Kritik auf sich zogen. So schrieb der einflussreiche Kunstkritiker Charles Blanc: „Gelegentlich lassen sich die französischen Juweliere vom Fieber des Nacheiferns oder dem Wunsch, Erstaunen zu erregen, in die Irre führen. In unseren Ausstellungen wurden elektrische Juwelen von verblüffender Neuartigkeit gezeigt. Eine Voltabatterie, die klein genug ist, um in der Tasche getragen zu werden, versetzte eine Reihe von Miniaturobjekten in Bewegung, die als Broschen oder Anstecknadeln für das Haar gefasst waren; ein Kaninchen spielte auf einer Trommel; ein silberner Kopf mit Rubinaugen und emaillierten Lippen zog schreckliche Grimassen; ein zuckender Schmetterling und ein Vogel, der mit den Flügeln schlug, waren ebenfalls vertreten, zusammen mit zahlreichen anderen fantasievollen Spielzeugen, die zweifellos für den Export hergestellt wurden, dazu bestimmt, Barbaren zu unterhalten.“7

Diese Juwelen hatten jedoch auch ihre Bewunderer. Es überrascht nicht, dass sie heute zu den seltensten Stücken gehören, die Sammlern je begegnen mögen. Bereits 1891 galten sie als Sammlerstücke und wurden für ein Vielfaches ihres ursprünglichen Preises gehandelt.8

1Veronica v. G., „Die Mode“, Der Bazar, 10 (Nr. 26, 8. Juli 1864), S. 216.

2Vgl. etwa die Streeter & Co. zugeschriebene Fahrradbrosche, um 1896, aus der Sammlung des Boston Museums, Inv. Nr. 2009.2419. Die Annonce zu diesem Fahrrad im Katalog der Fa. Streeter ist reproduziert bei Peter Hinks (Hg.), Viktorianischer Schmuck (Hildesheim: Georg Olms, 1996), S. 188.

3Vgl. R. T.:, „Moderner Schmuck zur Badesaison“, Der Bazar, 34 (Nr. 25, 1888), S. 278.

4Ebd., S. 278.

5Ein Exemplar ist erhalten im Bestand des V&A Museums, London, Inv. Nr. M.121-1984.

6Vgl. Gustav Trouvé, L’Électricité au théâtre, bijoux électro-mobiles, nouveaux bijoux électriques lumineux, par G. Trouvé (Paris: Guillot, o.J. [c. 1885]) [https://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb315005044, aufgerufen am 1. März 2023].

7Übersetzt nach Charles Blanc, Art in Ornament and Dress (London: Chapman and Hall, 1877), S. 256.

8Vgl. Charlotte Gere/Judy Rudoe, Jewellery in the Age of Queen Victoria (London: British Museum, 2010), S. 210. Zu weiteren Informationen über batteriebetriebener Juwelen, vgl. ebd., S. 209 ff.

Lea Felicitas Döding

Als Kunsthistorikerin interessiert mich vor allem die materielle Kultur des Schmucks. Wie wurde ein Stück getragen, von wem und zu welchem Zweck? Welche Bedeutungen verband man mit Edelsteinen und Schmuckentwürfen? Diesen Fragen versuche ich für das Hofer Magazin auf den Grund zu gehen – und tauche dabei oft tief in die Schmuckgeschichte ein.

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