Schmuckgeschichten
Eine kurze Geschichte der Naturperle
Schätze des Meeres
von Lea Felicitas Döding
„Welches war der erste Edelstein, der den Menschen in seinen Bann zog? Vermutlich die Perle, da ihre Schönheit sofort offenbar wurde als die Muschel sich öffnete, denn die Perle muss weder geschliffen noch poliert werden, und ihr Fund war wohl ein Nebenertrag der Nahrungssuche.“
– übersetzt nach Francis Stopford, The Romance of the Jewel, London 1920
Ein Wunder der Natur: Vom Ursprung der Perle
Eine Perle entsteht, wenn ein Fremdkörper in eine Perlmuschel eindringt. Die Muschel ummantelt ihn alsbald mit Perlmutt. Mit der Zeit sammeln sich diese Perlmuttschichten an, und die Perle gewinnt an Größe. Ohne das Wissen um diesen Prozess erscheint der Perlfund wie zufällig – ein Umstand, der verschiedenste Theorien hervorbrachte. Man suchte nach Antworten: Warum enthielten einige Muscheln Perlen und andere nicht? Warum waren manche Perlen weiß und rund, andere hingegen rosafarben und barock?
Eine der ältesten Theorien stammt von Plinius dem Älteren. In seinem berühmten Werk Naturalis Historia aus dem Jahr 77 n. Chr. verlieh er seinem Glauben Ausdruck, dass eine Perle dann entstehe, wenn Tau in die offene Perle tropfe; sie werde „hernach schwanger gehen und endlich ausgebähren: die Geburt der Muscheln sollen sich nach der Beschaffenheit des Thaues richten.“1
Diese Theorie des Plinius wurde über Jahrhunderte hinweg nicht angefochten. Im Aberdeen Bestiary des 13. Jahrhunderts, einer mittelalterlichen Tierdichtung, wird Ähnliches berichtet: „Wenn [die Muschel] von ihrer Ruhestätte zur Oberfläche des Meeres steigt, so öffnet sie ihren Mund und empfängt den himmlischen Tau, und die Strahlen der Sonne bescheinen diesen; sodass in diesem Stein eine gar kostbare, leuchtende Perle erwächst, empfangen aus dem himmlischen Tau und von den Strahlen der Sonne mit Lüster beschenkt.“2
Zweifel hieran erwuchsen erst in der frühen Neuzeit. In seinem Hauptwerk Museum Museorum, 1704, berichtet der deutsche Naturforscher und Sammler Michael Bernhardt Valentini, dass Plinius’ Theorie noch stets einige Anhänger habe; Valentini selbst jedoch war ein Verfechter der moderneren Ansicht, dass die Perle das Ei der weiblichen Muschel sei.3
Noch in einem 1860 erschienenen Buch über Edelsteine können wir lesen, dass – obwohl man nun um die Rolle der Fremdkörper in der Muschel wusste – viele Details zur Entstehung der Perle weiterhin unbekannt seien.4 Bis 1893 jedoch war der Ursprung der Perle so weit entschlüsselt worden, dass der japanische Unternehmer Kokichi Mikimoto und seine Frau Ume die erste vollrunde Perle züchten konnten. Es sollte jedoch noch bis in die 1920er Jahre dauern, die Produktion zu perfektionieren und kommerziell ertragreich zu gestalten.
„Höchste Beyspiele der Üppigkeit“
Zu Plinius’ Zeiten waren die kostbarsten Perlen die orientalischen Perlen aus dem Indischen Ozean und dem Persischen Golf. Schon Plinius verband die dortige Perlenfischerei jedoch auch mit der Gefahr der „vielerly und großen Ungeheuren“5 des Meeres und erhöhte den Reiz der Perle so noch um jenen der Gefahr.
Auch viel später, als die Handelsrouten bereits enger verknüpft waren und der Ursprung der Perle kein Geheimnis mehr darstellte, klang der Perle der wildromantische Ton ihres gefahrenvollen Ursprungs bei. Im Damenjournal Bazar hieß es 1888: „Wohl ist die der Perle verliehene Schönheit es wert, dass Tausende kühner Taucher, Küstenbewohner des Persischen Golfes, daß die verwegenen Perlenfischer Ceylons und Japans die Schrecken und Gefahren der Tiefe nicht achten, ein Zusammentreffen mit Hai- und Sägefischen nicht scheuen, die tödliche Umarmung der Polypen nicht fürchten, um die auf düsterem Meeregrunde lagernde Perlenmuschel an das helle Licht der Sonne zu bringen. Doch nicht jede dieser Muscheln belohnt die Mühe und Beschwerde ihres Räubers, und Hunderte täuschen die hoffende Erwartung auf köstlichen Inhalt.“6
Immerhin konnten die Schalen der an die Oberfläche beförderten Muscheln, welche keine Perlen in sich trugen, ebenfalls genutzt werden, „zur Herstellung von Knöpfen, Messergriffen und ähnlichen Objekten.“7 Doch selbst eine gefundene Perle war nicht unbedingt für eine Perlenkette brauchbar, und unter den tauglichen musste sodann erst noch nach Farbe und Größe sortiert werden, bevor man ein Collier zusammenstellen konnte.
Noch 1894 berichtete der Bazar hierzu: „Es muß oft lange gesammelt werden, ehe man gleichmäßige Perlen zu einem Halsbande zusammenbringt. Es dauerte beispielsweise fünf Jahre, ehe das wunderschöne Perlenhalsband, das der Kaiser Friedrich als Kronprinz seiner jungen Gemahlin zur Hochzeitsgabe überreichte, fertig gestellt wurde.“8 Dieses notwendige Verfahren, Perlen zu sammeln, hinterließ seine Spuren sogar im deutschen Sprachgebrauch: Noch bis ins 19. Jahrhundert sprach man bei besonders guten Perlen, die stückweise verkauft wurden, von Zahlperlen.
Der Brauch des einzelnen Perlenverkaufs wurde bis in die ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts beibehalten. Sog. „Add-a-pearl“-Geschenke wurden in Juwelierskatalogen angepriesen; es ließen sich kostbare orientalische Perlen in kleiner Anzahl kaufen. Schenkte man sie einem Mädchen über Jahre hinweg zum Geburtstag oder anderen Feiertagen, so hatte sie als junge Frau am Tage ihrer Volljährigkeit oder Hochzeit eine vollständige Perlenkette.
Erst als Zuchtperlen-Colliers im Laufe der 1920er Jahre weithin erhältlich wurden, verschwanden diese Annoncen: Es bestand scheinbar keine ausreichende Nachfrage mehr.
Selbstverständlich waren fertige Perlenketten – gesammelt und nach Größe, Farbe und Qualität zusammengestellt – auch bei Juwelieren erhältlich, jedoch zu erwartungsgemäß hohen Preisen. Die luxuriöseste Perlenkette in einem amerikanischen Katalog des Jahres 1924 besteht aus 105 Perlen in einer Reihe und ist mit 26.000$ bepreist, genau wie ein Diamantsolitär von 16.03 ct – die beiden mit Abstand teuersten Objekte im Katalog.9 Rechnet man diesen Betrag auf die heutige Zeit um, so ergibt sich ein Wert von rund 420.000$.
Obwohl dieses Beispiel und die Vorstellung, Perlen für eine Kette erst sammeln zu müssen, uns bereits eine Ahnung geben, können wir uns im Zeitalter der Zuchtperle kaum mehr den atemberaubenden Wert vorstellen, den große Naturperlen einst darstellten.
Eine berühmte Anekdote mag dies illustrieren; sie ist ebenfalls in Plinius’ Naturgeschichte überliefert. Der Autor, der einige „höchste Beyspiele der Üppigkeit“ in Bezug auf Perlen anführt, erzählt von einer Wette der Cleopatra mit Marcus Antonius: Sie wolle bei einem einzigen üppigen Festmahle den Gegenwert von zehn Millionen Sesterzen verspeisen. Vorsetzen lässt sie sich zum gegebenen Zeitpunkt jedoch lediglich einen Becher Essig. In diesem löst sie alsdann einen ihrer Perlenohrringe auf und trinkt die Flüssigkeit.
Cleopatras Perlenohrringe galten als die größten und kostbarsten der antiken Welt, geschätzt auf ebenjenen Wert, den sie zu verspeisen ankündigte; der Akt ist dermaßen schockierend für die Anwesenden, dass der Schiedsrichter Lucius Plancus sich beeilt, sie zur Gewinnern der Wette zu erklären – auf dass sie nicht noch die zweite Perle opfere.10
Eine Naturschönheit
Es mag ob dieser Geschichte wenig überraschend klingen, dass Plinius der Perle „die äußerste Höhe des Preises von allen Dingen“11 zuschrieb. Im Kontext der damaligen Zeit berücksichtigt seine Einschätzung jedoch nicht nur die Seltenheit der Perle und das Geheimnisvolle, welches ihre Entstehung damals noch umgab.
Ein heute kaum berücksichtigter Umstand ist die Tatsache, dass eine schöne Perle bereits in perfektem Zustand gefunden wird, ohne dass sie noch geschliffen oder poliert werden müsste. Man muss hier erwägen, dass die Edelsteinschliffe der Antike noch relativ einfach waren. Insbesondere Diamanten unterschieden sich in ihrer Wirkung noch stark von dem brillanten Eindruck, welchen wir heute gewohnt sind. Im Vergleich muss die Perle als ein Juwel von noch bedeutenderer Schönheit erschienen sein.
Mithin musste die Perle ihren Status auch erst dann an den Diamanten abtreten, als komplexere Diamantschliffe diesem im Rohzustand beinahe unscheinbaren Stein mehr Facetten und damit mehr Brillanz entlockten. Dies geschah im 17. Jahrhundert, als die Vorgänger unseres heutigen Brillantschliffes entstanden. Obgleich wir diese Schliffe heute im Allgemeinen Altschliffe und im Besonderen Peruzzi-Schliffe nennen, nannte man sie damals einfach Brillantschliffe; es bestand noch keine Notwendigkeit, sie von späteren Versionen des Brillantschliffes abzugrenzen.
Im Jahre 1750 veröffentlichte der Juwelier David Jeffries eine Abhandlung über die Werte der Diamanten und Perlen. Über die Perle schrieb er: „Diese Juwelen sind nach den Diamanten die wichtigsten, denn sie stellen den zweithöchsten Wert jedweder Art dar. Zuallererst sei zu bemerken, dass ihre Schönheit ein reines Produkt der Natur ist und auf künstliche Art nicht verbessert werden kann; ein Umstand, für den sie weithin geschätzt werden. Die einzige Regel, um sie zu bewerten, ist das Quadrat ihres Gewichts, wie im Falle der Diamanten.“12
Wenn auch die Feinheiten der Diamant- und Perlbewertung auf die jeweilige Qualität des Juwels eingingen, so wurden die beiden Materialien noch bis ins frühe 20. Jahrhundert ähnlich bewertet. Wie bei einem Diamanten, so stieg auch bei einer Perle mit zunehmender Größe der Preis exponentiell. Und wie bei Diamanten, so sind auch besonders große berühmte Perlen mit Namen versehen worden: Etwa La Peregrina, deren Provenienz fünfhundert Jahre zurückreicht. Noch 1893 hieß es, dass ab einem Gewicht von acht Karat der Wert der Perle wie jener eines gleich großen Diamanten zu bewerten sei.13
Da heute außer in Ausnahmefällen nicht mehr nach Perlen getaucht wird, sind Naturperlen mehr denn je seltene Kostbarkeiten. Ein antikes Schmuckstück mit großen natürlichen Perlen ist nicht nur eine Investition in ein Objekt von herausragender Schönheit, sondern erinnert an eine Jahrtausende währende Geschichte der Wertschätzung dieser geheimnisumwobenen Juwelen.
1Plinius, Naturalis historia, 9.54 (Johann Daniel Denso trans., Plinius Naturgeschichte, Rostock und Greifswald: Röse, 1764, S. 374) [https://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV001478888, aufgerufen am 05.04.2022].
2Aberdeen, University of Aberdeen Library, MS 24, 96R: „Ergo cum ascen / derit a loco suo supra mare, aperit os suum et susci\pit intra se de rore celi et circumfulget eum radius / solis, et sic fit intra eum margarita preciosa et splen / dida valde, quippe que rore celi concepta est, et radio solis / clarificata.“ [https://www.abdn.ac.uk/bestiary/ms24/f96r, aufgerufen am 14. Februar 2022].
3Michael Bernhardt Valentini, Museum Museorum... (Frankfurt a. M.: Johann David Zunners, 1704), S. 495f. [https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/valentini_museum_1704/?p=545, aufgerufen am 14. Februar 2022].
4Vgl. Anita de Barrera, Gems and Jewels... (London: Richard Bentley, 1860), S. 205ff.
5Plinius, Naturalis historia, 9.54.
6R. T., „Die Perle“, Der Bazar. Illustrirte Damen-Zeitung, 24. September 1888, S. 388.
7Justin Wood: The Pearl (Syracuse: H. J. Howe Inc., 1924), S. 3.
8Emilie Bratzky, „Frauenschmuck“, Der Bazar. Illustrirte Damen-Zeitung, 29. Januar 1894, S. 57.
9Katalog der Juweliere S. Kind & Sons, Philadelphia 1924 [https://archive.org/details/skindsons1924/s-kind-masterpieces-1924-00021958-LowRes/mode/2up, aufgerufen am 14. Februar 2022].
10Plinius, Naturalis historia, 9.54.
11Ebd.
12Übersetzt nach David Jeffries, A Treatise on Diamonds and Pearls... (London: Printed by C. And J. Ackers for the Author, 1750), S. 62.
13Vgl. Emma Brewer, „Precious Stones: Their Homes, Histories, and Influence“, in The Girl’s Own Paper, 21. Oktober 1893, S. 36-39 (S. 39).
Lea Felicitas Döding
Als Kunsthistorikerin interessiert mich vor allem die materielle Kultur des Schmucks. Wie wurde ein Stück getragen, von wem und zu welchem Zweck? Welche Bedeutungen verband man mit Edelsteinen und Schmuckentwürfen? Diesen Fragen versuche ich für das Hofer Magazin auf den Grund zu gehen – und tauche dabei oft tief in die Schmuckgeschichte ein.