Schmuckgeschichten

Was Schmuck des Art Déco über seine Zeit verrät

The Times They Are a‑Changin’

von Lea Felicitas Döding

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chmuck des Art Déco erscheint heute klassisch und zeitlos, doch tatsächlich galten viele dieser Entwürfe zur Zeit ihrer Entstehung als neuartig, sensationell oder gar schockierend. Vom langen Ohrring bis hin zu den ersten Zuchtperlenketten – viele Schmuckstücke der 1920er und 1930er Jahre sind eng verbunden mit den kulturellen Veränderungen und Innovationen dieser bewegten Epoche.

 

Lange Ohrhänger

Ohrhänger des Art Déco mit Diamanten, um 1930

Die vielleicht radikalste modische Neuerung der 1920er Jahre war der kurzgeschorene Bubikopf. F. Scott Fitzgeralds 1920 veröffentlichte Kurzgeschichte Bernice Bobs Her Hair handelt von einem jungen Mädchen, dessen Entschluss, sich einen Bubikopf schneiden zu lassen, ernsthafte Auswirkungen auf ihr gesellschaftliches Ansehen bedeutet. Die Frisur kam einem Bruch mit der traditionellen Frauenrolle gleich, und anfangs sollen sich viele Salons geweigert haben, diesen Schnitt überhaupt anzubieten.

Doch auch wenn Filmstar Asta Nielsen 1921 mit ihrem Bubikopf noch schockieren konnte, war dieser zur Mitte des Jahrzehnts bereits in den Mode-Olymp aufgestiegen. Was aber hat dies mit Ohrringen zu tun? Der Kurzhaarschnitt legt die Ohrläppchen frei, und lange Ohrringe und rebellischer Bob bedingten einander geradezu. Im September 1926 berichtete das deutsche Modemagazin Die Dame von den verschiedenen Variationen des Bubikopfes – und empfahl lange Ohrringe, um diesen zu betonen: „Elegante Frauen lieben es augenblicklich sehr, lange Ohrringe zu tragen, aber nur für den Abend, denn am Tage sind sie ja unpraktisch.“

In Schmuckkatalogen der 1920er Jahre finden sich daher ganze Seiten voll langer Ohrringe neben Steckern für den Tag. Bemerkenswert ist, dass im Gegensatz zu den Schraubohrringen des frühen 20. Jahrhunderts – einer Zeit, in der Ohrringe gerade erst wieder in Mode gekommen waren – die überwiegende Mehrheit des Ohrschmucks der 1920er Jahre bereits für durchstochene Ohrläppchen konzipiert war, da diese nun wieder de rigueur waren.

Reihen von Armbändern

Drei kostbare Armbänder mit Diamanten in Platin, um 1930

Wie heute, so beeinflusste Hollywood bereits in den 1920er und 1930er Jahren Mode und Geschmack. Insbesondere die Einführung des Tonfilms in den späten 1920er Jahren machte das Hollywood-Kino zu einem weltweiten Phänomen und führte zu einem wahren Star-Kult. Auf schwarz-weißen Film gebannt, wirkte weißer Diamantschmuck besonders eindrucksvoll.

Ohnehin eröffnete die Garderobe der Filmstars neue Möglichkeiten, Schmuck zu tragen: Die seidenen Abendkleider von Schauspielerinnen wie Jean Harlow entblößten Arme und Schultern ihrer Trägerin und erlaubten es, Handgelenke und sogar Oberarme mit Armbändern und Armreifen zu akzentuieren. Kaum ein Studioporträt einer Schauspielerin jener Zeit kam ohne eine Anzahl diamantener Armbänder aus – Hände und Handgelenke wurden oftmals als expressives Mittel in diesen Portraits eingesetzt und somit exzessiv geschmückt. Norma Shearer nahm 1930 ihren Oscar für The Divorcee sogar mit nicht weniger als drei Armbändern am Handgelenk entgegen.

Die sogenannten „line bracelets“, bestehend aus einer schlichten Reihe von Diamanten oder alternierenden Edelsteinen, wurden ebenso getragen wie aufwändigere und breitere Exemplare. Der Juwelier S. Kind & Sons aus Philadelphia bot in seinem Katalog des Jahres 1925 gleich vier Seiten kostbarer Armbänder an und kommentierte: „Es gab nie eine Zeit, in der Armbänder beliebter waren als heute. Es scheint, als würde jedes Mädchen und jede Frau ein Armband tragen, und viele Frauen mit gutem Geschmack tragen zwei und sogar mehr in attraktiven Kombinationen.“

Schmuck aus Platin

Großer Art Déco Anhänger mit Diamanten in Platin, um 1930

Seit der Einführung des elektrischen Lichts im späten 19. Jahrhundert konnten Diamanten so hell leuchten wie niemals zuvor. Während im frühen 20. Jahrhundert Silber und schließlich auch Weißgold eingesetzt wurden, erlaubte kein anderes Edelmetall eine solch feine Optik wie das Platin.

Zu Beginn des Jahrhunderts, bis zur Oktoberrevolution 1917, waren jährlich tausende Kilo Platin aus dem Ural vor allem nach Frankreich und Deutschland exportiert worden. Massive Platin­schmuckstücke wurden gelegentlich, jedoch noch nicht in großem Maßstab gefertigt. Üblicher war es, Schmuck aus Gold mit einer Schauseite aus Platin zu versehen, sodass er getragen rein weiß erschien. Der Grund hierfür war der hohe Preis der Platins, denn er überstieg den des Goldes bei weitem.

Nach der Revolution erreichte nur noch wenig Platin Westeuropa. In Deutschland, einem der führenden Zentren der Schmuck­produktion für Stücke im Stil des Art Déco, lag der Platinpreis in den 1910er Jahren zwischen dem Zwei- und Fünffachen des Goldpreises und erreichte 1924 schließlich das Sechsfache des Goldpreises. Erst mit der Entdeckung von Platinvorkommen im südafrikanischen Transvaal im selben Jahr begannen die Preise zu sinken und näherten sich schließlich zu Beginn der 1930er Jahre dem Goldpreis an. Infolgedessen wurde massiver Platinschmuck – obgleich stets teuer und luxuriös – erstmals häufiger gefertigt.

Schwarze Schmuckmaterialien

Drei Onyxringe, besetzt mit einem gelben Saphir, einem Diamanten im Altschliff bzw. einer Perle und Diamanten, um 1920-1930

Onyx, Jett, Email – schwarze Materialien waren lange dem Trauerschmuck vorbehalten. Als ernsthaft und streng empfunden, wurden sie nur selten mit Diamanten kombiniert. So wie der erste Weltkrieg jedoch viele Konventionen hinwegfegte, so verlor auch schwarzer Schmuck nach und nach seine kulturell festgelegte Symbolik. Materielle und dekorative Werte traten in den Vordergrund. Paradoxerweise mag es gerade die allgegenwärtige Trauerkleidung während des Ersten Weltkriegs gewesen sein, die schwarze Stoffe und Materialien für die jüngere Generation normalisierte.

Ab den späten 1910er Jahren findet sich Onyxschmuck in Schmuckkatalogen deshalb auch außerhalb des Kontexts der Trauer. 1922 kommentierte das US-amerikanische Magazin The Jewelers’ Circular dann bereits: „Die Daily Mail gibt zu bedenken, dass Frauen in der Wahl ihrer Juwelen nicht mehr länger vom Aberglauben geleitet werden. Jett und Onyx sind nun sehr beliebt.“

Zur Mitte der Dekade war der schwarze „Plaque“-Ring aus poliertem Onyx, mittig meist mit einer kontrastierenden weißen Perle oder einem Diamanten besetzt, schließlich zum unverzichtbaren Bestandteil einer gut sortierten Schmuckgarderobe geworden.

Dekorative Ringe

Ein Dress Ring mit Aquamarin in Platin, um 1930

Nicht nur die Farbe Schwarz wurde zu einer Mode. Auch die Wahl der Ringe bewegte sich fort aus dem Bereich des sentimentalen Schmucks hin zu einer oft rein dekorativen Funktion.

Bunte Farbsteinringe gewannen an Popularität. Wenn wir heute von „Cocktailringen“ sprechen, so kursierte dieser Begriff vermutlich erst ab den späten 1930er Jahren. Zuvor sprach man, so wie bereits im 19. Jahrhundert, im englischen Sprachraum von einem dress ring, einem Ring also, der das namengebende Kleid farblich ergänzen sollte. Ein dekorativer Ring, dessen Entwurf nicht auf einen großen Farbedelstein fokussiert, und der weder ein Ehe- noch Verlobungsring ist, wurde oft auch dinner ring genannt, da er zu ebendiesem Anlass schmücken sollte.

Mit dem Schwinden inhaltlicher Bedeutung sank auch die Anzahl der Ringe, welche eine Frau an ihrer Hand trug. Im 19. Jahrhundert war es üblich gewesen, eine Vielzahl sentimental aufgeladener Ringe an der Hand zu tragen, ungeachtet dessen, ob sie einander dekorativ ergänzten. Die Bedeutung jedes einzelnen Ringes war es, die ihn zu tragen rechtfertigte. 1929 konnte man hingegen in Harper’s Bazaar lesen: „Man sieht nicht mehr, dass jeder Finger mit zwei oder drei Ringen besetzt ist. Die elegante Gesellschaft trägt einen Diamantreifen als Ehering, und einen großen Verlobungsring zumeist aus Diamant, und vielleicht noch einen weiteren dress ring, um die Farbe des Kleides zu ergänzen.”

Zuchtperlen

Ein Perlencollier und ein Armband des Art Déco mit Perlen, 1920er bzw. 1940er Jahre

Aufgrund des hohen Preises natürlicher Perlen werden seit Jahrhunderten auf unterschiedlichste Weise Imitationen für Perlen hergestellt. Egal ob aus Wachs, Glas, Kunststoff oder aus anderen Materialien: Ihr Aussehen erreichte doch nie Lüster und Schönheit echter Perlen.

Erst im frühen 20. Jahrhundert  machte der japanische Geschäftsmann Kokichi Mikimoto dann ein Verfahren zur Züchtung echter, vollrunder Perlen marktfähig. Laut der Wiener Fachzeitung der Juweliere, Gold- und Silberschmiede von 1924 waren die ersten Mikimoto-Zuchtperlen seit 1921 in London erhältlich. In den USA scheinen sie schon etwas früher erhältlich gewesen zu sein, denn sie werden bereits in Katalogen aus dem Jahr 1919 beworben. Auf dem Kontinent erreichten sie etwas später die Geschäfte der Juweliere. 

Mikimotos Zuchtperlen waren von den seltenen, teuren Naturperlen kaum zu unterscheiden und erregten daher unmittelbar großes Aufsehen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Zuchtperlen­ketten schnell zu einem festen Bestandteil der Schmuckgarderobe wurden: Ihre zunehmend geringeren Kosten bei fast gleichwertigem Aussehen machten sie bei einem großen Publikum beliebt.

Schulterbroschen

Eine Schulterbrosche mit Perlen und Diamanten in Platin, um 1930

Kein Schmuckstück ist so eng mit der Kleidermode verbunden wie die Brosche, da sie unmittelbar an den Stoff geheftet werden muss. Doch da sich die Mode im Laufe der Generationen stetig ändert, sind viele Arten von Broschen vom Markt verschwunden. Wer trägt heute noch ein Devant-de-Corsage?

Eine in den 1920er Jahren beliebte, doch heute seltene Art der Brosche, vielleicht zu Unrecht, ist der shoulder pin. Dies ist eine rechteckige oder runde, immer rahmenartige Brosche, die auf der Schulter getragen wurde. In der Regel befestigte man sie am Träger eines Kleides, dessen Stoff dann durch den zentralen Ausschnitt der Brosche hindurchschaute. Die Brosche erinnert damit an eine Schnalle, doch hat sie eine rein dekorative Funktion.

Da solche Kleider am Abend getragen wurden, wurden auch die Anstecknadeln für den Abend entworfen – aus Platin geschmiedet und mit Diamanten versehen.

Dress Clips

Ein Diamant Clip des Art Déco aus Platin, 1930er Jahre

Der Dress Clip, das womöglich innovativste Schmuckstück der Epoche, ist eng mit der Brosche verwandt. Anders als diese wird er aber nicht mit einer Nadel, sondern mit einem plattenförmigen Clip an der Kleidung befestigt.

Auch die Erfindung des Dress Clips trug dem modischen Wandel Rechnung. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden schwere, diamantbesetzte Broschen am Abend vorn auf der Korsage getragen und an Schleifen und Spitzenmassen geheftet. Schwere Stoffmassen wurden, ebenso wie die Korsage, mit dem Aufkommen der locker sitzenden Flapper-Kleider der 1920er und kunstvoll drapierten Satinkleider der 1930er Jahre aber obsolet. Die neuen glatten Seidensatins für den Abend erforderten zudem eine andere Lösung als die bisweilen zerstörerische Nadel. Der Dress Clip erfüllte alle Anforderungen, denn er hinterlässt keine Nadellöcher und lässt sich beinahe überall anbringen.

Ursprünglich paarweise entworfen, sind viele Dress Clips heute nur noch als Einzelstücke erhalten. Während Paare an gegenüberliegenden Seiten des Ausschnitts getragen wurden oder sogar zu einem einzigen Schmuckstück zusammengesteckt werden konnten, wurde ein einzelner Clip am Gürtel oder Träger eines Kleides, in der Mitte des Ausschnitts, am Hut getragen – der Fantasie waren und sind keine Grenzen gesetzt.

Lea Felicitas Döding

Als Kunsthistorikerin interessiert mich vor allem die materielle Kultur des Schmucks. Wie wurde ein Stück getragen, von wem und zu welchem Zweck? Welche Bedeutungen verband man mit Edelsteinen und Schmuckentwürfen? Diesen Fragen versuche ich für das Hofer Magazin auf den Grund zu gehen – und tauche dabei oft tief in die Schmuckgeschichte ein.

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